Es ist noch gar nicht so lange her, da hatten wir eine fette Debatte darüber, in wie fern Journalist_innen auch Aktivist_innen sein können oder gar müssen. Und nun ist in Gaza Krieg und in der Ukraine auch, und schon poppt das Dilemma in anderer Form wieder auf.
Der „Spiegel“ wollte politisch Haltung beziehen und veröffentlichte diese Woche ein Cover mit eindeutiger Aussage: „Stoppt Putin“. Dies löste eine Diskussion im Netz aus: Darf das Wochenmagazin das? Ist das „kriegstreiberisch“ oder mutig? Oder müssen die Medien allgemein sogar mehr Haltung zeigen? Die Meinungen gingen stark auseinander. Das Ganze bewirkte aber, dass die „Spiegel“-Redaktion darauf reagierte und einen Beitrag in ihrem hauseigenen Spiegelblog veröffentlichte – allerdings nicht als Blog-Beitrag, sondern es wurde der Leitartikel des aktuellen Hefts „dokumentiert“. Eine wahre Auseinandersetzung mit dem Leser, obwohl der nebendran in der Spalte zum Mitmachen aufgefordert wird, sieht anders aus.
Schon am Sonntag konnte man sowohl in Gesellschaft als auch in der Branche eine Empörungswelle ausmachen. "Bild am Sonntag"-Chefredakteur Nicolaus Fest hatte gesprochen, in Form eines anti-muslimischen Kommentars. Die Erregungswelle war unfassbar schnell unfassbar hoch. Zu Recht natürlich.
Vermutlich jede Zeitung in Deutschland und jede_r Blogger_in, der/die was auf sich hält, hat in der Folge den unfassbaren Fehlgriff kommentiert. Was ich aber nicht verstehe: Warum das niemand in Zusammenhang damit bringt, was bei der „BILD“ am Freitag passiert ist. Da hatte sie sich mit einer großen Kampagne, die auch Twitter mit dem Hashtag #stimmeerheben umfasste, mit Israel gemein gemacht. Und jede_r, aber wirklich auch jede_r, fand es toll. Sogar taz-Chefredakteurin Ines Pohl entblödete sich nicht, die Kampagne auf Twitter mitzumachen und sie als "gute Aktion" zu loben.
Natürlich kann man auch hier die Frage stellen, ob ein Medium nicht Gesicht zeigen muss, wenn es Ungerechtigkeit ausmacht. Nur ist die Frage der Ungerechtigkeit im jetzigen Israel-Palästina-Konflikt so eine Sache. Man könnte auch über bisherige Anstrengungen, etwa die Kampagne mit dem Hashtag #JewsAndArabsRefuseToBeEnemies berichten und dadurch Haltung zeigen, Position beziehen. Es mutet schon sehr komisch an, wenn eine Zeitung Prominente erpresst und für den Preis der größtmöglichen Auflage persönliche Schicksalsgeschichten mal so und und mal so erzählt (der Autorin sind selbst drei solche Fälle bekannt). Und dann der Chefredakteur eben dieser Zeitung im Editorial zu der Israel-Kampagne davon schreibt, dass das erstens journalistische Pflicht sei, das Bekenntnis der Bundesregierung zum Staat Israel zu verteidigen und zweitens „BILD“-Gründer Axel Springer zitiert, der schon damals demokratische Leitsätze auch zu journalistischen Maximen erklärt habe.
Mal abgesehen davon, dass ich als Journalistin nicht möchte, dass Kai Diekmann für mich spricht: Diese Haltung reicht bei Deutschlands größter Zeitung nur genauso weit bis der nächste ausschlachtbare Skandal in Sicht ist. Und da werden dann Persönlichkeitsrechte wieder mit Füßen getreten und Methoden angewandt, die mit demokratischen und journalistisch ethischen Grundsätzen ungefähr so viel zu tun haben wie der Papst mit eigener Familienplanung. Und das bestätigte sich dann ja direkt zwei Tage später. Das Thema Antisemitismus eignete sich prima, um mal wieder auf den Muslimen herumzuhauen und dabei auch noch schön Islam mit Islamismus gleichzusetzen – nicht zum ersten Mal im „BILD“-Universum. Kai Diekmann distanzierte sich zwar recht schnell von Fest. Aber die Sonntagszeitung war verkauft, die Diskussion von vorher, wenn es dann eine gegeben hat, eingerissen.
Wer dieser Zeitung grundsätzliche Glaubwürdigkeit schenkt und denkt, sie wolle wirklich selbstlos etwas bewirken, der sollte lieber anfangen, generell Bücher zu lesen anstatt journalistische Publikationen. Er ist damit besser bedient, Stichwort gesellschaftliche Aufgaben, die.
„Wasser zu predigen und Wein zu trinken, ist kein guter Ausgangpunkt für Artikel, die Verschwendung anprangern. Die kritische Berichterstattung von Journalisten bleibt mitunter auch deshalb halbherzig, weil sie selbst Teil des Systems sind. Der heimliche Lehrplan für die Leser: So ernst können sie es ja nicht meinen.“ Das sagte GEO-Autorin Hanne Tügel im vom Mediencampus Dieburg initiierten Portal www.gruener-journalismus.de zwar in Bezug auf Umwelt-Journalist_innen und das Thema Nachhaltigkeit. Aber Nachhaltigkeit gibt es auch in allen anderen Bereichen des Journalismus, und der würde allgemein in Deutschland gut daran tun, politische Haltung nicht mit „gemein machen“ allein für den Erfolg des Mediums zu verwechseln.
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