40 Jahre "Horses". Alle loben Patti Smith. Zu recht. Aber der lange Weg bis zu "Horses" wird dabei vergessen. Eine Glorifizierung, teilweise sogar Negierung des Prekariats durch das Feuilleton,
damals wie jetzt.
Ja, es ist großartig, dieses Album. So was, was man heute gemeinhin einen Meilenstein nennt. Wegweisend. Sprachrohr einer Generation. Ein neuer Stil. Eine neue Ära. Allerdings kann man das mit
Sicherheit erst jetzt rückblickend sagen, 40 Jahre, nachdem Patti Smith's Debüt "Horses" veröffentlicht wurde. Alle schreiben darüber in den höchsten Tönen, loben außerdem Smith's Stilsicherheit,
den Ausdruck von "kompetitiver Selbstbestimmung", so zuletzt Jochen Distelmeyer in der "Frankfurter Sonntagszeitung". Aus dem Gefühl, ausgeschlossen zu sein von der Liebe und der Gnade, von dem
Gefühl, auf der Suche zu sein, habe genau dieser Zustand der "Schamanin, Sängerin, Dicherin und Performerin" immer wieder Dynamik verliehen.
Ja, stimmt vermutlich alles. Denn als noch niemand an sie glaubte, geschweige denn sie entdeckte und Smith sich überlegen musste, ob sie einen hart verdienten oder erbettelten Dollar für Essen
oder für neues Papier ausgibt, hat die Künstlerin sich selbst hoch gehalten. Sie zog damals aus widrigen Umständen und mit nur ein paar Dollar von zu Hause aus nach New York, in dem festen
Glauben, es mit dem zu schaffen, was sie gerne machen will: Schriftstellerei. Nachzulesen in ihrer Autobiografie "Just Kids", aber eigentlich auch known fact ihrer Biografie als Musikerin.
Leider ignorieren das alle. Oder glorifizieren, romantisieren das. So wie es ja auch heute noch gern mit dem künstlerischen Prekariat passiert. Bis hin zum Klischee, dass es ja nicht anders
ginge. Ein Künstler muss frei sein von allem, also auch von Besitz, und zu Besitz zählt eben auch Geld. Dass es dabei aber auch um Miete für Ateliers etc. geht, um Miete fürs Wohnen, wenn man
krank wird und fürs tägliche Essen und ab und zu mal eine Vergnügung, sprich, die blanke Existenz, das spielt keine Rolle. Oder höchstens später mal als passender Mythos.
Im Fall von Patti Smith ist das aber noch nicht mal romantisch. Sie schreibt selbst, dass es Tage gab, lange Tage, an denen sie nichts zu essen hatte. Ihre sehr katholische Herkunft lernte sie
vielleicht, wenn man es positiv formulieren möchte, Bescheidenheit und Herzensgüte. Negativ formuliert heißt das aber nichts anderes als Naivität. Sie flüchtete als Minderjährige nach einer
abgebrochenen Schwangerschaft nach New York, wäre fast noch in den ersten Tagen im Park krepiert, wenn sie nicht Robert Mapplethorpe, den großen Fotografen der 70er und 80er und ihre große Liebe,
getroffen hätte. Beide wollten hier Kunst machen, ohne Kompromisse, und stützten sich dabei gegenseitig. Es war die Zeit, in der man für ein Ex-Fabrik-Loft in NYC nur 60 statt heute mindestens
6000 Dollar Miete zahlte. Aber selbst 60 Dollar mussten erst einmal im Monat verdient werden, ohne Papiere, ohne Ausbildung, ohne Qualifikation für irgendwas. Und für den hohen Preis, ohne
Komfort zu sein und in Vierteln mit extrem hoher Armut und Kriminalität, nicht wissend, ob man die nächste Woche noch sicher überleben würde. "Just Kids" ist so auch ein Zeugnis eines sehr realen
New York der 60er und 70er Jahre. Mit einer Eastside, die heute vor lauter Kommerz nicht mehr vernünftig auf dem Immobilienmarkt performen kann. Und einer Künstler-Kultur, die jenseits von Andy
Warhols Factory nichts kannte und zuließ.
Sie hat etwas, das Aura heißt, schreibt Distelmeyer so schön verklärend, hinzu komme das "Arbeitsethos der Lyrikerin, ihre Bereitschaft, die Welt auf ihre Bedeutungsreize hin zu überprüfen,
dasZeichenhafte von potenziell allem in den Blick zu nehmen und auf sich wirken zu lassen". Man kann das, Entschuldigung, kaum lesen, ohne Zynismus dahinter zu sehen. Hat das denn auch niemand
redigiert? Und der Autor: Tja, was soll man sagen, einem, der das künstlerische Prekariat nur aus der Zeit vor "Blumfelds" Erfolg kurz aus dem reichen Hamburg kennt? Es blieb Patti Smith wohl
nichts anderes übrig.
Aber von einer außergewöhnlichen Betrachtungsweise kann man sich nicht ernähren. Und Sängerin, das ist Smith eher zufällig geworden. In einer Zeit, die nicht schön war. Die voller AIDS war und
Hass und Gewalt, gegen Schwule und Frauen, gegen alle, die sich das Recht herausnahmen, anders zu sein. Auch im hippen New York.
Wer jetzt die Einfachheit von "Horses" lobt und Smith's Bescheidenheit, so im Rückblick, der hat wirklich nichts verstanden. Und lese bitte einfach ihre Autobiografie. Und halte die
Klappe.
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