Eigentlich wollte ich seit mindestens vier Tagen noch mal über das Attentat von Orlando schreiben. Wie die Medien damit umgehen. Warum nicht beim Namen genannt wird, was offensichtlich ist bzw erst so spät. Warum so viele über die Info entsetzt sind, dass der Täter selbst schwul gewesen sein könnte ("Tagesthemen" letzten Dienstag - ein Graus!) und warum das eigentlich keine Verwunderung und kein Entsetzen auslösen sollte.
Warum zwar viele gute Kommentare und Artikel dazu erschienen sind, die aber alle von schwulen Männern in typisch schwuler Sicht geschrieben sind (zB der hier und der), dass es nicht passt, dass diese Kollegen Solidarität von der heterosexuellen Breite der Gesellschaft fordern, obwohl sie selbst nicht solidarisch sind, denn die anderen Buchstaben aka Gruppierungen in "LGBT" haben sie einfach selbst vergessen zu berücksichtigen in dem, was sie veröffentlichen (ausgenommen Carolin Emcke, aber die veröffentlichte ihren Orlando-Text ja auch erst am Samstag).
Und während ich mir das so überlege und warum der Schmerz in mir und die Leere und die Enttäuschung nicht weggehen, warum mich das eine Woche danach noch immer fast zum Weinen bringt, wenn ich nur daran denke, da spitzen fundamentale Christen ihre Waffen und blasen zum nächsten Angriff. Haben einen Teil des Angriffs sogar schon heimlich geplant und in die Wege geleitet. In sofern passt es dann doch leider wieder alles zusammen, denn fundamentale Christen haben geholfen, Homo- und Transsexualität und wie die queere Gemeinschaft lebt und leben will als Teufelzeug zu diffamieren, uns auszugrenzen, uns und den ganzen "normalen Heten" die ganze Zeit zu erklären, warum wir einfach nicht gleiche Rechte haben können. Weil es gottgewollt ist. Und gottgewollt ist auch der Dschihad. Die radikalen Evangelikalen, klar, wollen niemanden umbringen, haben aber mit ihrer Rhetorik denselben gesellschaftlichen Effekt wie islamistische Gruppierungen. Und tragen damit genauso dazu bei, dass diese Gesellschaft in ihrer Ignoranz solche Verzweiflung in Menschen heranreifen lässt, die sie sich selbst negieren lässt.
Gut, irgendwie war klar, dass der Spuk jetzt nicht vorbei ist. Aber ich hätte mit weiteren Aktionen in Baden-Württemberg gerechnet. Für die Evangelikalen um Hedwig von Beverfoerde und Beatrix von Storch ist in Baden-Württemberg aber nichts mehr zu gewinnen. Neun "Demos für alle" haben in Stuttgart stattgefunden und doch sind Aktionsplan gegen Homophobie und neuer Bildungsplan mit Inhalten zur Aufklärung über sexuelle Vielfalt in Kraft getreten bzw. tritt der Bildungsplan auch unter Grün-Schwarz nach den Sommerferien in Kraft, unter Billigung der neuen CDU-Kultusministerin. In Hessen ist man noch nicht so weit, da basteln Ausschüsse und das Parlament noch. Politisch ist in BaWü also der Käs gegessen, in Hessen dauert's noch, bis überhaupt serviert werden kann - was macht CDU-Frau von Beverfoerde also? Sucht sich ein neues Ziel.
Das neue Ziel heißt Bayern. Bayern ist gut, da regiert die CSU, und die ist tatsächlich noch konservativer als die tiefschwarzeste Schwarzwald-CDU in Baden-Württemberg. Sogar deren Nachwuchs ist so konservativ, dass er die Ehe-Öffnung für Lesben und Schwule just am Wochenende abgelehnt hat. Und dann gibt's da ja noch die Sache mit dem Unterricht und dem Sex und Kindern, die dafür noch zu jung sein könnten. Wie vorher in Baden-Württemberg. Und Niedersachsen. Und Schleswig-Holstein, wo die Besorgten Eltern es tatsächlich geschafft haben, auf politische Prozesse Einfluss zu nehmen, aber das ist eine andere Geschichte. Bayern will doch nicht so konservativ sein, wie es immer aussieht. Das CSU-geführte Bayern wird seine Lehrpläne reformieren. Denn die sind über 15 Jahre alt, und in denen steht nichts von sexueller Identität oder sexueller Vielfalt. Homo- und Transsexualität kommen da gar nicht vor. Das soll sich ändern, das wurde im März beschlossen. Und anders als in Baden-Württemberg finden's alle gut, auch die Lehrerverbände und die Elternvertretungen. Und sogar die CSU. Naja, zumindest viele in der CSU.
Wer das gar nicht gut findet, ist die Lobby aus evangelikalen Christen. Von Beverfoerde, Teile der AfD, die Besorgten Eltern, die Initiative Familienschutz (die von Beverfoerde mal gegründet hat), und die Anti-Homo-Lobby um "Informationsseiten" wie pi-news, der Kopp-Verlag, das ganze Medien-Imperium um Sven von Storch und natürlich auch kath.net schießen sich jetzt ein auf Bayern.
Teil eins des Angriffs ging schon unbemerkt über die Bühne, er beinhaltet wie in Baden-Württemberg, richtig, eine Petition. Gegen die Reform der Lehrpläne. Titel: "Wir brauchen kein Gender und 'sexuelle Vielfalt' an Bayerns Schulen". Achtung, hier heißen die Aktivisten anders, nämlich nicht mehr "Besorgte Eltern" oder "Initiative Familienschutz", sondern "Elternaktion Bayern". Sie soll angeblich neu gegründet sein, komischerweise steht aber alles unter demselben Impressum auf der Wordpress-Seite von "Demo für alle", nirgendwo werden Namen genannt oder auch nur andere Internet-Adressen (ich verlinke jetzt nicht, weil ich denen kein Forum und keinen Traffic geben will und donotlink nicht mehr funktioniert).
Seit dem 16. Juni ist die Petition bei CitizenGo online, über 2600 Menschen haben sie bereits unterzeichnet. 5000 Unterschriften werden gebraucht, damit das Parlament die Online-Petition zur Kenntnis nehmen muss. Der Appell richtet sich direkt an die CSU, also Ministerpräsident Seehofer und Kultusminister Spaenle. Was gefordert wird und auch die Argumentation dafür sind ziemlich genau gleichlautend wie entsprechende Petitionen und Formulierungen in "Demo für alle"-Reden in Baden-Württmberg. Anders ist jedoch, dass hier niemand namentlich auftritt für die Bewegung und die "Elternaktion Bayern" auch nicht verlinkt ist bei Facebook oder Twitter. Website unten als Link ist die der "Demo für alle", Referenzen werden vor allem an Birgit Kelle verteilt, ebenfalls einschlägig bei diesem Thema bekannt. Mitte Mai gab es bereits einen offenen Brief der Aktion an Miniser Spaenle, komischerweise findet man bei Artikeln dazu auch nur wieder die Namen Kelle und Beverfoerde. Es dürfte sich also bei der "Elternaktion Bayern" nicht um eine neue Gruppierung handeln, und vor allem nicht, wie der Name vorgaukelt, um tatsächliche Eltern, die in Bayern wohnen und daher von sich aus etwas geplant haben. Andererseits: Erschreckenderweise waren bei den letzten vier Demos in Stuttgart auch stets 1,2 Bayern-Fahnen beim Demozug mit dabei.
Doch damit nicht genug. Jetzt soll auch in Bayern demonstriert werden. Für kommenden Sonntag ist eine "Demo für alle" in München angekündigt. Das wiederum wird nicht über deren Website angekündigt, das traut sich die Initiative seit geraumer Zeit nicht mehr. Man versucht so gut wie möglich, die Demos geheim zu halten. Argument: Weil man von Linken angegriffen wurde und seine Teilnehmer schützen muss. So wird gleichzeitig ein Opfer-Mythos kreiert, bei dem die wahren, guten Christen bei ihren Verkündigungen der Wahrheit von den Unwissenden sogar noch polizeilich geschützt werden müssen.
Richtige Demokraten dürften die Auseinandersetzung aber eigentlich nicht scheuen. Und die Allgemeinheit zahlt im übrigen dafür, ob sie die Verkündigungen nun hört oder nicht oder überhaupt hören will.
Angemeldet ist die Demo am 26. am Wittelsbacher Platz um 14 Uhr, mit Demo-Route. Gute Hintergrund-Infos dazu gibt es hier im Blog. Wer kann, kommt bitte.
Zwei Wochen nach Orlando so eine Veranstaltung zu machen, ist ein weiterer Schlag ins Gesicht der queeren Community.
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Wilhelm Seefried (Dienstag, 23 August 2016 02:13)
Tja, leider schlecht recherchiert, Frau "Medien-Profi" Fritzsche (gemäß Ihrem offensichtlichen faschistischen Hass gegen alle, die Ihre Sichtweisen nicht nachvollziehen können, und die Welt und unser Land hier einfach so schön erhalten wollen, wie es ist, war Ihr Vorfahr vielleicht ein gewisser "Lagerführer Fritsch", vermute ich mal, uns sie haben sich vielleicht dann Ihren Namen ändern lassen aus Scham vor der politischen Vergangenheit Ihrer Familie, alles nur Spekulation, aber würde Ihre Vorliebe für totalitäre Ideologien und Politik wie von rotgrün verbreitet erklären).
Jedenfalls zeigt Ihr "Bericht" über Demo-für-alle und die Elternaktion Bayern deutlich auf, dass Sie schlicht und einfach keine Ahnung haben. Man könnte natürlich seine Bildung erweitern und die Eltern der Elternaktion Bayern ganz einfach fragen, aber vorsichtig: Nachfragen gefährdet die eigenen Vorurteile! :-)
Gruß
Familie Wilhelm und Krishna Seefried von der Elternaktion Bayern, geschlechtlich eindeutig Mann und Frau, mit 3 Kindern, Vater verdient die Brötchen und Mutter kümmert sich vorzüglichst um ihre Kinder, alles Prädikate und Leistungen, die Sie und Ihre LSGBTTIQ-Freunde wohl nie schaffen werden, nicht weil wir von der Elternaktion Bayern etwa etwas gegen Sie hätten (nein, haben wir nicht, wir achten alle Menschen als Geschöpfe Gottes), sondern weil Gott selber (nicht zu verwechseln mit Allah, wie Sie es in Ihren Bericht getan haben!) die Welt so geschaffen hat, wie sie ist, nämlich mit heterosexueller Reproduktion, der ist aber auch ein hundsgemeiner Diskriminierer, dieser Gott, haben Sie den eigentlich schon mal angezeigt bei der Antidiskriminierungsstelle des Bundes? ;-)
Kerstin Fritzsche (Mittwoch, 21 September 2016 20:42)
Ich habe diesen Kommentar freilich gerne stehen gelassen, er spricht für sich. Und nein, mein Gott diskriminiert nicht, und scon gar nicht die, die nicht an der heterosexuellen Reproduktion teilnehmen können.
Kerstin Fritzsche (Mittwoch, 21 September 2016 20:45)
Und falls ich mal Ahnenforschung betreiben will, frag ich Sie, Herr Seefried (wobei sich da alle "demo für alle"-Unterstützer_innen wegen Beatrix von Storch und ihrer Vorfahren auf ganz dünnem Eis bewegen, aber ich glaube nicht an die Erbsünde).