Hessen arbeitet gerade an einem Aktionsplan gegen Homophobie. Und im Koalitionsvertrag von CDU und Grünen steht explizit die Verpflichtung zur Aufklärung über LGBTI, wodurch die Landesregierung sich quasi selbst zur Zusammenarbeit mit SchLAu verpflichtet hat. Das hätte vorher niemand der als ziemlich konservativ geltenden hessischen CDU-Fraktion zugetraut. Andererseits: Wer mit den Grünen regieren will, muss sich eben auf solche Dinge der Gleichstellungspolitik einlassen. So konsequent vorangetrieben und festgeschrieben hat das aber bisher kein anderes Bundesland.
Klammheimlich den Lehrplan überarbeitet
Klammheimlich neben dem Aktionsplan, für den das Sozialministerium verantwortlich zeichnet, hat Hessen den Lehrplan für Sexualerziehung erneuert und in ihm die Aufklärung über sexuelle Vielfalt verankert. Dabei wurde jedoch lediglich ergänzt; überall, wo "Eltern" oder "Familie" vorkommen, wurde erweitert auf Regenbogenfamilien und queere Lebensformen. Es ist kein Abschnitt hinzugekommen oder irgendetwas umgeschrieben worden - das hatte nämlich die "Demo für alle" recht schnell behauptet.
Zuletzt sorgte ein erneuerter Lehrplan, der LGBTTIQ berücksichtigt, vor allem in Baden-Württemberg für Entrüstung und bedeutete die Geburt der AfD-gestützten Anti-Bewegung "Demo für alle". Zwar hatte es auch vorher schon in jedem Bundesland, in dem ein neuer Lehrplan beschlossen oder geplant wurde, entsprechende Proteste gegeben, so gut organisiert waren sie vor der "Demo für alle"-Bewegung, die sich das von "Manif pour tous" in Frankreich abgeguckt hat, aber nicht. Außerdem waren die Pläne in einem sehr frühen Entwurf-Stadium in Baden-Württemberg geleakt worden.
In Stuttgart war nichts mehr zu holen
Nachdem Bildungsplan und ein Aktionsplan gegen Homophobie in Baden-Württemberg in Kraft getreten sind, und es für die Gegner also nichts mehr zu holen gibt in Stuttgart, musste sich die "Demo für alle" zwangsläufig anderen Zielen zuwenden. Ich habe das vorausgesehen, diese Bewegung ist nach wie vor gefährlich. Das war zunächst Sachsen-Anhalt, da konnte man aber noch keine Demo organisieren. Und Bayern, weil da Aufklärung über sexuelle Vielfalt auch sang- und klanglos in den Lehrplan gewandert ist, allerdings wurde die in München geplante Demo im Juli abgesagt, weil zwei Tage vorher der Amoklauf im Norden der Stadt stattgefunden hat. Die Demo zwei Wochen später hatte kaum Teilnehmer. Unterdessen haben die führenden Köpfe von "Demo für alle" aber Kultusminister Spaenle einfach so getroffen und versucht zu beeinflussen.
Es war vorauszusehen
Es war also vorauszusehen, dass es auch Proteste in Hessen geben wird, zumal bereits für April 2014 schon einmal eine Demonstration in Kassel angekündigt war, die die Organisatoren dann aber selbst wieder absagten. Jetzt will die "Demo für alle" am 30. Oktober in Wiesbaden demonstrieren und mobilisiert dafür gerade sehr breit übers Internet und ihr Netzwerk Anhänger. Die Argumentation ist dieselbe wie in Baden-Württemberg: Man müsse auf die Barrikaden gehen, weil "gegen den ausdrücklichen Willen der Landes-Elternvertretung, gegen das Votum der katholischen Kirche, ohne Absprache mit der Fraktion und ohne öffentliche Diskussion das CDU-geführte Kultusministerium unter Alexander Lorz still und heimlich bereits am 19. August 2016 einen radikalen Sexualerziehungs-Lehrplan erlassen hat, der Kindergefühle und Elternrechte mit Füßen tritt."
Anschließend werden Teile herausgegriffen und wie gewohnt eigenwillig interpretiert. Wer sich selbst überzeugen möchte, was genau im neuen Lehrplan Sexualerziehung steht, kann beim Ministerium selbst hier nachlesen.
Regierung ist nicht verpflichtet, neuen Lehrplan bekanntzugeben
Die "Demo für alle"-Vertreter_innen irren aber: Erstens war das nicht an der katholischen Kirche vorbei. Und zweitens - und das galt auch für Baden-Württemberg - ist es ein ganz normaler Vorgang, dass Lehrpläne überarbeitet werden. Ergo ist die jeweilige Landesregierung auch nicht verpflichtet, das kundzutun, wenn sie einen neuen Lehrplan in Kraft setzt. Und eine öffentliche Diskussion muss sie auch nicht führen, eigentlich noch nicht einmal eine mit Multiplikatoren oder intern mit den anderen Fraktionen. Dass dies aber dennoch gemacht wird, zeigt nur, wie ernst Regierungsparteien alle Beteiligten nehmen. Natürlich hätte man das aber genau wegen Baden-Württemberg auch anders machen können.
Auch das Votum des Landeselternbeirats ist nicht endgültig. Es gibt eine Eltern-Bewegung in Frankfurt, die die Akzeptanz des neuen Lehrplans will und dafür Unterschriften sammelt.
Dass genau aufgrund der Geschehnisse in BaWü unter Forcierung der "Demo für alle" alles so geräuschlos geschehen ist, das reflektiert die Anti-Bewegung freilich nicht. Ob damit der hessischen Landesregierung der Kampf erspart bleibt, bleibt abzuwarten.
Leider auch an vielen Medien vorbei
Leider allerdings ist der neuen Lehrplan so heimlich gewesen, dass selbst viele Medien und Journalist_innen nicht wussten, was oder in welchem Zeitplan das Ganze vor sich geht. Es gab folgerichtig weder beim zuständigen Kultusministerium, noch bei Staatskanzlei, Grünen und CDU eine Pressemitteilung dazu. Aber wer nicht vor Ort ist, ist klar benachteiligt. Im Vorteil waren dann vermutlich schon vor Bekanntgabe am Freitag die Medien mit der größten Nähe zum Landtag - und das ist naturgemäß der Hessische Rundfunk, der direkt ein Video und einen Audio-Beitrag parat hatte.
Ich selbst war im Mai 2015 noch im Sozialministerium und habe die "Reformierung" des Lehrplans angesprochen, woraufhin mir mit einer Gegenfrage geantwortet wurde: "Woher wissen Sie das denn? Nein, nicht das wir wüssten!". Ich finde das schwierig. Ich arbeite bei LGBTI-Themen frei und bin auf verbindliche Informationen und meine Kontakte angewiesen. So funktioniert Vielfalt in den Medien aber nicht. Und mehr noch: Manch einer munkelt, ob Grüne und CDU sich vielleicht doch nicht soooo lieb haben, wie demonstriert wird?
Gegen-Demo
Natürlich gibt es bereits ein breites Bündnis für eine Gegen-Veranstaltung am 30. Oktober. Infos zB über "Vielfalt statt Einfalt". Ob die CDU teilnimmt oder dazu aufruft, bleibt abzuwarten.
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