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"Modus" - der Mörder ist nicht in uns allen

(aus der Ausstellung "Homosexualität_en" in Berlin 2015)

 

 

Nicht jede_r ist so tolerant wie Homer Simpson bzw. seine Macher. Gerade wurden erste Ergebnisse einer umfassenden Studie der Antidiskriminierungsstelle des Bundes veröffentlicht, die Einstellungen gegenüber Lesben, Schwulen und Bisexuellen in Deutschland abfragt (Download hier; die komplette Studie wird irgendwann im Frühjahr veröffentlicht).

 

Die gute Nachricht an den Ergebnissen: Über 80% der Deutschen sprechen sich für die Öffnung der Ehe für Lesben und Schwule aus. Und - in your face, AfD und "Demo für alle": "Beim Thema Bildung und sexuelle Vielfalt befürwortet eine klare Mehrheit von 89,6 Prozent das Ziel, in Schulen Akzeptanz gegenüber homo- und bisexuellen Personen zu vermitteln. Sieben von zehn (70,6 Prozent) weisen die Aussage, das Ansprechen von sexueller Vielfalt in der Schule verwirre die Kinder in der Entwicklung ihrer Sexualität, eher oder vollkommen zurück."

Aber: Je niedriger der Bildungsgrad der Befragten und je näher das Thema Homosexualität an den eigenen Lebensbereich reicht, desto intoleranter sind die Menschen. Und sicherlich geben sie das nur innerhalb so einer anonymen Befragung zu, denn ansonsten ist es durchaus auch nicht political correct, Lesben und Schwule komisch zu finden und ihnen nicht gleiche Rechte zuzugestehen.

 

Man kann nur ahnen, dass eben genau mit Aufkommen der rechtskonservativen Bewegungen in Europa, etwa "Manif pour tous" und dann "Demo für alle" und AfD in Deutschland, diese Menschen in den letzten 3 bis 4 Jahren eine neue Heimat gefunden haben, eine Heimat für ihr Gefühl des "Ich hab' ja nix gegen die, aber..." und "Das wird man ja wohl noch mal sagen dürfen". Auch gesellschaftlich-intellektuell in die Öffentlichkeit gebracht durch Leute wie Akif Pirincci, Thilo Sarrazin, Birgit Kelle oder Udo Ulfkotte, die fleißig gegen Gender und sexuelle Vielfalt anschreiben.

 

Nicht jede_r radikalisiert sich dadurch auch, klar. Aber wie weit es gehen kann, wenn diese Meinungen in einer vermeintlich aufgeklärten Gesellschaft trotzdem am Sieden sind, zeigte Ende des just vergangenen Jahres 2016 die skandinavische Serie "Modus - Der Mörder in uns", die ab Ende November im ZDF ausgestrahlt wurde. Sie ist aber auch noch, und zwar zusätzlich in der schwedischen Original-Version, in der ZDF-Mediathek verfügbar. Es handelt sich dabei um die TV-Adaption der "Vik/Stubø"-Buch-Serie der lesbischen Schriftstellerin Anne Holt, die in ihrem Heimatland Norwegen auch mal Justizministerin war.

 

Kein "Who-dunnit", sondern ein "Why-dunnit"

 

Ich habe die Bücher nich gelesen und so ein bisschen gebraucht, bis ich raus hatte, dass es um Hass auf Homosexuelle und eine fanatische Sekte geht. Und genau dies ist ziemlich genial. Eine gewisse Raffinesse schreibt man skandinavischen Serien ja ohnehin zu und erwartet sie auch. Aber wie subtil die Erzählung geöffnet wird, dass erst einmal weder Motiv, noch Zusammenhänge zwischen den einzelnen Morden klar sind, das ist schon ziemlich gut und spannend gelöst. Den Zusatz "Der Mörder in uns" finde ich persönlich dabei lediglich unpassend, denn er suggeriert, dass jede_r von uns solch einen Hass entwickeln kann, dass er oder sie zum Mörder wird - und die Morde in "Modus" sind ziemlich gut geplant, ziemlich brutal und kompromisslos und ziemlich zielgerichtet durchgeführt. Es sind dennoch "Hate Crimes", aber die Opfer sind mehr nicht zufällig als zufällig. Es geht dem Täter oder vielmehr der Täter-Gruppe um einen ganz bestimmten Kreis von (besser gestellten) Lesben und Schwulen in Uppsala und Stockholm.

Und damit wird ein Bezug geschaffen zur europäischen Realität von Homo-Hass, der auch Neid auf beruflichen und sozialen Status von Lesben und Schwulen beinhaltet, der sich daraus speist, dass eben nicht alle gleich sind und man vor allem, wenn man selbst eher zu den unteren Zehntausend gehört, auf gar keinen Fall einer Minderheit Gleichstellung und gleiche Rechte gönnt.

 

Schaubild lesbischer und schwuler Lebenswirklichkeiten

 

Auch wird das teilweise bei den Opfern selbst deutlich, und das ist ein weiterer interessanter Punkt der Serie. Da ist die Bischöfin, die sich in ihrem Amt für Lesben und Schwule einsetzt, die aber nicht stark genug ist, selbst zu ihrem Lesbisch-Sein zu stehen und mit Freundin und schwulem Ehemann über Jahrzehnte ein Doppelleben führt, bis sie ermordet wird und alles rauskommt - was noch nicht mal ihr Sohn wusste, der sozusagen gezwungen wurde, mit der großen Lebenslüge seiner Eltern aufzuwachsen.

Da ist das schwule Paar mit Altersunterschied, einer von ihnen ein großer Reeder, das zusammen mit einem lesbischen Paar schon ein Kind hat und jetzt noch eines bekommt - die beiden Frauen Schauspielerin und Politikerin. Alle Vier zwar gesellschaftlich engagiert, aber irgendwie auch in ihrer Privilegiertheit von anderen gesellschaftlichen Realitäten entfernt.

Dann ist da der junge Schwule aus einfachen Verhältnissen, der noch nicht bei seiner Familie geoutet war und doch nichts sehnlicher wollte, als einfach glücklich sein und einen Platz haben, der Heimat ist - und wenn das nur der queere Club ist, in dem er in der Küche arbeitete, gesellschaftlich "unschuldig", quasi, der Junge.

 

Hass hat eine Dynamik - und das bedroht letztendlich die Gesellschaft

 

Die Dynamik des Hasses wird sogar aufgegriffen: Nach den ersten beiden Morden wird nicht weit von besagtem Club ein jüngeres lesbisches Paar, das sich auf der Straße küsste, von einer Gruppe junger Männer überfallen. Zuerst fragt sich die Polizei und damit auch der Zuschauer, ob es einen Zusammenhang gibt. Dann wird klar: Männlicher Machismo gepaart mit hohem Alkohol-Konsum und das gerade entstandene Klima in der Stadt, ein dummer Spruch - und dann ist es nicht weit bis zum Hieb oder Tritt. Auch das ist real, homophob motivierte Übergriffe haben in den letzten Jahren wieder zugenommen, auch in vermeintlich toleranteren Städten wie Berlin oder Köln, auch in eindeutigen Community-Vierteln oder -Straßen. Oder gerade in diesen.

 

Klar, es gibt keinen anderen Weg zur Gleichstellung, zur Toleranz und irgendwann hoffentlich auch Akzeptanz als über die Politik. Politik muss dafür sorgen, dass sich Gesellschaft verändern kann, muss Minderheiten schützen und Demokratie durchsetzen. Aber "Modus" macht auch klar: Auch in so sozialen und fortschrittlichen Gesellschaften wie den skandinavischen ist damit keine Sicherheit und das Erreichen der Ziele garantiert - im Gegenteil zementiert das vermutlich alles teils rückschrittliche Entwicklungen sogar. Denn immer dort, wo für eine gesellschaftliche Gruppe ein Feld aufgemacht wird, sieht eine andere, dass das ihre beschnitten wird.

In dieser Vielschichtigkeit ist "Modus" grandios. Und hochaktuell. Und zusätzlich auch noch ein spannender Psycho-Krimi, eben ganz skandinavisch.

 

Thema Homosexualität bei den meisten Rezensionen komplett ausgeblendet

 

Umso erstaunlicher, dass "Modus" in deutschen Medien so wenig besprochen wurde. Und wenn dann nur dieser letzte Entertainment-Aspekt. Einige Kritiken erwähnen noch nicht mal das Wort "Homosexualität" in der Handlungsbeschreibung - und stellen erst recht keine Bezüge her, was die Serie dadurch eigentlich erzählen will, also auch Bezüge zur Realität des gesellschaftlichen Backlashes, wie wir ihn in einigen Ländern leider haben - und wie sich als Elite fühlende religiös motivierte Gruppierungen oder gar Parteien dieses Meinungsklima zunutze machen.

 

Wir brauchen mehr solche Serien. Auch aus rein deutscher Produktion.

 

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