… hätte schon viel früher in Deutschland einsetzen müssen.
Wahr ist an einer Geschichte immer nur das, was der Zuhörer glaubt.
Hermann Hesse in „Heumond“
Von Trumps Wahlkampf waren nun jetzt alle erschrocken. Die Fake News sprudelten nur so – und brachten mit Hilfe von Manipulationen Republikaner-Stimmen. Analysen dazu kamen, auch in amerikanischen Medien, seltsamerweise aber erst spät, nämlich erst NACH der Präsidentschaftswahl.
So besuchte ein kleines Medium in den USA einen der größten Fake-News-Macher, BuzzFeed besuchte dann auch einen, dann veröffentlichte „Das Magazin“ aus der Schweiz seine Reportage zu Trumps Wahlkampf mit Hilfe von Cambridge Analytica. Anfang des Jahres veröffentlichte BuzzFeed eine Hitliste der „erfolgreichsten“ Fake News auf Facebook (ob das nicht auch noch mal ein Push für genau die ist, müsste man übrigens auch mal diskutieren).
Und nachdem man hier „Breitbart“ entdeckt hat, gibt es dazu auch schon den ersten Skandal, der eine entsprechende Analyse nach sich zieht. Andere überregionale Medien ziehen nach, das Thema „Breitbart“ will man nicht nur einem überlassen, und man muss sich schon fragen, ob es dabei noch um die Entlarvung eines Portals und seiner Strukturen geht oder nicht eher darum, die Welle der Entrüstung jetzt einfach mitzureiten. Denn vorher war man ja auf dem rechten Auge mit Blick aufs Digitale schon ein bisschen blind, schließlich gibt es in Deutschland schon länger Webseiten, die Tatsachen verdrehen und damit gerade in der Flüchtlingsfrage Stimmung machen.
Angst vor Programmatic Advertising
Auch mit den Mechanismen von Online-Werbung begann man sich dann erst zu beschäftigen, angeregt durch die Kampagne „Kein Geld für Rechts“. Komischerweise fiel in dieser ganzen Diskussion nie „OMS“ oder der Name einer anderen Vermarktungsgesellschaft, viele Kolleg_innen glauben bis heute, dass die Werbung insgesamt individuell ist und vor allem individuell in Auftrag gegeben wurde/wird.
Der andere Teil der Branche redet jetzt angsterfüllt über Programmatic Advertising und Prorammatic Campaigning, manch ein traditioneller Print-Journalist, der sich vorher schon kaum gekümmert hat, wie die Werbe-Finanzierung der Website seines Arbeitgebers eigentlich funktionieren kann, hört diese Worte wohl jetzt zum ersten Mal und ist konfrontiert mit der sehr bitteren Erkenntnis, dass Inhalte, vor allem seine qualitativ hochwertigen Inhalte, im Wahlkampf zur Bundestagswahl höchstwahrscheinlich gar nichts zählen könnten, weil viral gehende Fake News und sie unterstützende Netz-Kampagnen viel stärker sind, sein könnten.
Es ist sogar die Rede von Programmatic Journalism. Und dass der auch eine Chance sein kann. Roboterjournalismus gibt es schon – die Wetter- und Sport-News müssen keine Menschen mehr generieren, und diese haben damit mehr Zeit für investigative Geschichten, heißt es. Und Nachrichten passgenau aufs jeweilige Medium zuzuschneiden und auszugeben in den jeweiligen Kanal. Volker Schütz, Chefredakteur der Verlagsgruppe Deutscher Fachverlag, die den „Horizont“ herausgibt, sieht in seinen fünf Trends für 2017, die eigentlich eher Mini-Kommentare zum jetzigen Stand des Journalismus sind, darin sogar eine Chance für die einzelne Medien-Marke. „Progammatic Journalism ist nicht das Ende des kritischen Journalismus, sondern hat das Potenzial, neue Leser zu gewinnen, neue Erlösmodelle in Gang zu setzen, eine Medienmarke zu stärken. Vorausgesetzt, Medien investieren noch stärker in Big Data“, schreibt er zum Jahresanfang. (Die neuen Erlösmodelle würden mich genauer interessieren, aber da geht’s leider nicht weiter.)
Hier haben wir aber das nächste Problem, eigentlich gleich zwei: Verlagshäuser investieren erstens ja schon kaum in die Digitalisierung oder haben das zumindest in den letzten fünf Jahren nur vereinzelt getan, je nach Konzerngröße und -Zugehörigkeit. Und zweitens ist Big Data da kein Allheilmittel, sondern macht uns auch angreifbar, wenn wir ganz selbstverständlich all das nutzen, was uns die Digital-Riesen so vorgeben: Redaktionsalltag wird über Google Calendar und Slack organisiert, fast jeder hat einen WhatsApp-Chatbot, der die Nachrichten aufs Smartphone und auf Facebook über Messenger bringt, viele von uns nutzen Instant Articles und Cloud-Dienste. Und machen sich keine Gedanken über Sicherung der Daten und Verschlüsselung. Wir kritisieren die Vorherrschaft der drei Großen im Digitalen und hängen uns selbstverständlich mit dran. Wenn man da gehackt wird, uns Daten geklaut werden oder unser Content zweckentfremdet wird – da braucht man sich eigentlich nicht wundern, oder? „Content is immer noch king“ ist da einfach irrelevant.
Ansätze daraus für die Praxis?
Und es bleibt bei all diesen Thesen und frommen Wünschen immer eine Frage leuchtend übrig: Wie gehen wir praktisch damit um? Analyse ist schön und gut, aber wenn sich daraus keine Handlungen ableiten lassen, dann bringt uns das in unserem immer schneller und komplexer werdenden Journalismus-Alltag überhaupt nichts. Dann werden wir weiterhin überrollt von Mechanismen à la Fake News oder hecheln Big Data hinterher, gerade in mittelständigen Regional-Verlagen. Denn: Konzern-Konzentration nimmt immer noch weiter zu. Man kann nur eine Haltung haben und diese auch bewahren, wenn man die Zeit und Unterstützung dazu hat. Der Durchschnitts-Nachrichten-Arbeiter formally known as Redakteur hat keine Zeit, sich da groß erst drüber zu unterhalten und Maßnahmen zu analysieren und auszuwählen. Jedenfalls nicht in der Arbeitszeit.
Dass Medienkompetenz fehlt, wussten wir schon vorher
Und sorry, dass wir zunehmend einen „Snippet-Journalismus“ haben, dass junge Menschen nicht mehr Primärquellen lesen, sondern ihre Nachrichten über Facebook, Empfehlungen von Freunden etc. empfangen und es auch dadurch immer schwieriger wird, Echtes von Falschem zu unterscheiden, das wussten wir vorher schon.
Seitdem ich im Online-Journalismus tätig bin, und das sind schon zehn Jahre, gibt es den Ruf nach Medienkompetenz, vor allem mehr Medienkompetenz für junge Menschen. Bisher habe ich noch nicht gesehen, dass Politik, Institutionen oder auch wir in den Medien darauf gute Antworten und vor allem Maßnahmen hatten. Über die weitere „Medien-Verrohung“ und die Entwicklung von Hate Speech und Fake News im Jahre 2016 braucht sich also keiner wirklich wundern.
So wie wir uns immer den Kommunikationsprozess erklärt haben – das funktioniert nicht mehr
Zum anderen kommt meiner Meinung nach hinzu, dass Hate Speech und Populismus neuzeitige Ausdrücke von Distinktion und gleichzeitig Zugehörigkeit sind. Herkömmliche Modelle, die uns immer den Kommunikationsprozess erklärt haben, die uns Journos dabei auch sicher gewogen haben in dem, was wir tun und wie wir es tun, funktionieren nicht mehr. Vielleicht haben sie das sogar nie, aber es war uns egal. Viele haben beispielsweise weiterhin an die Gatekeeper-Funktion geglaubt. Jetzt sind wir doppelt hilflos. Und weil das alles auch ein gesellschaftlicher Mechanismus ist, sollte es also auch die Soziologie dringend interessieren.
Der Hass hat nicht erst 2016 zugenommen
Für viele ist 2016 das Jahr, in dem der Hass das Internet erobert hat. Das stimmt aber nicht. Es war 2014. Weil sich Meinungen da schon verstärkt und Menschen zusammengerottet haben, die ohne Rücksicht auf Verluste andere regelrecht stalken und diffamieren. Es gab 2014 drei Fälle in meinem Umfeld. Beispielsweise hier einer erklärt: Ein ESA-Mitarbeiter wurde angegriffen wegen angeblichem Sexismus und auf allen möglichen Kanälen im Netz gestalkt. Es gab dabei eine Verbindung zur Gamer-Szene, daher wurde das Ganze so unfassbar groß und fies. Da wäre sehr, sehr viel justiziabel gewesen – und das übrigens auch von Frauen. Da gab es Frauen, die ihm Misshandlungs-, Vergewaltigungswünsche und Morddrohungen ausgesprochen haben. Die sich die Mühe gemacht haben, über diese ganze, mehrere Wochen währende „Debatte“ Storifys zusammenzusetzen und Videos für YouTube – nur zur Diffamierung!
Tendenziell sind vielleicht mehr Männer Trolle und/oder hassend und bedrohend im Netz unterwegs, in diesem Fall haben sich aber selbsternannte Feministinnen nicht vom anderen Geschlecht unterschieden in Grausamkeit, Häufigkeit und Kreativität, um denjenigen runterzumachen und anzugreifen.
Bei den anderen Fällen ging es vor allem um Bedrohungen über die eigene Website und Twitter. Twitter ist meiner Meinung nach ebenfalls 2014 zu einer wahnsinnigen Hassmaschine geworden (dennoch möchte ich persönlich nicht auf Twitter verzichten, ich habe über Twitter auch wunderbare Menschen kennen gelernt, die ich sonst nie getroffen hätte). Eine Person, die einfach als Kämpferin für Gleichstellung zu bezeichnen ist, ist erst nach ein paar Monaten und dann unter anderem Namen zurückgekommen, die andere ist nach Angriffen auf dem rechten Spektrum seitdem raus aus dem virtuellen Leben, war meines Wissens in psychologischer Behandlung und ist bis heute nicht zurückgekommen, hat sogar nicht nur Twitter-Account, sondern auch Blog und Website gelöscht.
Und wenn man auch noch aktuelle Beispiele möchte, dann taugt das der britischen Feministin Lindy West
sehr gut. Hier im „Guardian“ schreibt sie selbst, warum sie Twitter
verließ.
Und daher würden jetzt auch alle etablierten Medien, die Angst vor „Breitbart“ in Deutschland haben, gut daran tun, sich auch für die anderen Populismus- und Fake-News-Mechanismen zu interessieren, die es schon längst gibt. Und zwar jenseits von „Tichys Einblicken“, einem Henryk M. Broder und der „Achse des Guten“, die (neue) Populismus-Plattformen 2017 etablieren, wie Frank Zimmer von W&V befürchtet. Da hat sich schon einiges etabliert.
Ich möchte auch niemandem etwas unterstellen, viele haben es vielleicht einfach nicht gemerkt, weil es, wie richtig auf netzpolitik.org steht, eigentlich ja darum ging, „die
demokratische Meinungsbildung vor Manipulation zu schützen. Doch jetzt ist die Fake-News-Debatte selbst zum Risiko für Presse- und Meinungsfreiheit geworden.“
Geht es zum Beispiel um Gender, Homosexualität, Religion und Flüchtlinge, dann hatten und haben wir schon seit mehr als zwei Jahren ein Fake-News-Universum, nämlich mit Webseiten wie PI-News und denen, die alle zum Medien-Portfolio von Sven von Storch gehören, Ehemann der AfD-Abgeordneten Beatrix von Storch, und in dieser Konstellation auch gut vernetzt mit der Neuen Rechten und der „Demo für alle“-Bewegung, die Beatrix von Storch einst mitgründete und die jetzt das Ex-CDU-Mitglied Hedwig von Beverfoerde angeblich alleine organisiert – auf deutscher und seit Juni 2016 auch auf europäischer Ebene.
Vieles, was auf diesen Webseiten zu lesen war und ist, beruht zwar auf realen Ereignissen, ist aber verdreht dargestellt oder unterschlägt wesentliche Teile der Information. In Bezug auf die neuen Lehrpläne in vielen Bundesländern, die Aufklärung über sexuelle Vielfalt beinhalten, wurden und werden bewusst Falschinformationen gestreut. Teil des Problems: Die Webseiten sind in Chile registriert.
Auch in der eigenen Branche gibt es eine Brille
Das wurde aber innerhalb der Branche überhaupt nicht wahrgenommen. Zu viel wird hier noch durch unterschiedliche Brillen betrachtet. Klar, Journalist_innen sind eitel, man verkauft auch immer gleichzeitig sich selbst und möchte gerne die Deutungshoheit über die Dinge für sich beanspruchen, vor allem, wenn man ein Thema selbst entdeckt hat. Und dann kommt noch manchmal das Männer-Frauen-Ding dazu.
So schreibt Stefan Winterbauer auf meedia.de über die Social-Media-Fälle Roland Tichy bei Xing und den #lauerleak, bei dem Ex-Pirat Christopher Lauer einen Sparkassen-Mitarbeiter öffentlich auf Twitter als AfD-Wähler outete und damit einen Shitstorm auslöste, als würden wir zum ersten Mal einen – Zitat – „asozialen Social-Media-Mob“ erleben, der nur am Trollen und Hassen interessiert ist, eine echte Debatte verhindert und außerdem Folgen für das „echte Leben“ hat. Ach. Überraschung! Nicht.
Im übrigen müsste man der Vollständigkeit halber auch noch die Frage stellen, ob bei den beiden angesprochenen Fällen die Urheber Tichy und Lauer eigentlich selbst eine Debatte wollten oder nur Provokation, denn warum macht Lauer das direkt über Twitter öffentlich, anstatt nicht erst einmal der betroffenen Kreissparkasse eine Anfrage per Mail zu schicken? Und Tichy hatte nicht nur bei Meedia die Möglichkeit, sich selbst zu erklären, tat es aber nicht. Auch das also Teil der Aufmerksamkeits- und Aufregungsmechanik, in der dann wiederum ein anderer Journalist, in dem Fall also Winterbauer, noch mal erklären muss, wie die ganze Sache zu sehen ist. Ein bisschen mit erhobenem Zeigefinger, aber Lösungen hat er freilich auch keine, wenn er am Ende schreibt: „Es ist dringend an der Zeit, dass wir die Art, wie wir online miteinander umgehen, in zivilisiertere Bahnen lenken. Nur wie?“ Einen Punkt hat er dabei auch vergessen: Es wird eben nicht nur Online so miteinander umgegangen. Online ist nur ein Verstärker dieser Grabenkämpfe. Hat man vielleicht nur vorher nicht unbedingt mitbekommen – oder als Journalist_in auch nicht nachgefragt. Das würde auch wiederum Fragen an den eigenen Umgang damit stellen.
Als zu Silvester die Flüchtlingsdebatte erneut hohe Wellen schlug, haben Spiegel Online und wir beim Nordbayerischen Kurier uns dazu entschlossen, die Kommentar-Funktion für die betroffenen Artikel zu sperren, weil wir nicht Herr der Lage wurden und es außerdem keine Debatte gab. Dies in der Facebook-Gruppe für Online-Journalisten innerhalb des DJV gepostet und nach dem Umgang der Kolleg_innen damit gefragt, gab es keine Reaktion. Muss ich daraus schließen, dass das Interesse am praktischen Umgang damit und dem Austausch darüber nicht vorhanden ist? Bei über 80 Leuten in der Gruppe? Mich interessiert nach wie vor, wie andere das handhaben und wie sie das diskutieren. Vielleicht ist das aber nicht öffentlichkeitswirksam genug, und man schaut lieber auf die Polizei.
Aber, auch so ein Beispiel, polizeiliche Verfolgung von Falschbehauptungen etwa gab es ja auch schon vorher und nicht erst, seitdem die Polizei Rosenheim öffentlichkeitswirksam, auch auf Twitter, herausgegeben hat, dass sie das nun konsequent macht. Eine Selbstverständlichkeit polizeilicher Arbeit, so wie die Recherche dazu selbstverständliche journalistische Arbeit sein sollte. Es wird in Zukunft sogar eher darum gehen, wie Polizei und Journalist_innen dabei zusammenarbeiten (können). Wir brauchen uns hier gegenseitig, mehr als je zuvor. Auch, um zu analysieren und zu erklären, was ein Missbrauch ist, weil es Fake News sind, die da verbreitet werden, und wann es sich um Kriminalität handelt.
Nicht immer sind Fake News Populismus
Denn nicht immer werden Fake News in populistischer Absicht verbreitet. Es gibt ja auch noch die Fälle von Identitätsklau, um damit Geld zu erpressen und/oder an persönliche Daten und Telefonnummern zu kommen, gerade auf Facebook. Oder die Problematik, dass mit Fake News und entsprechenden Verlinkungen auf Porno-Seiten umgelenkt wird oder ein Virus aktiviert wird.
Ein aktueller Fall in Südhessen, wo eine Politikerin genau so einen Identitätsklau mit ihrem Facebook-Profil für einen populistischen Angriff noch vor dem Wahlkampf hielt, macht deutlich, wie wichtig da unsere Aufgabe der Aufklärung ist und noch immer sein wird.
Lasst uns nicht darüber reden, dass. Sondern wie. Die neueste Ankündigung von Facebook, sich Partner zum Identifizieren von Fake News zu suchen, für deren Arbeit man aber nichts zahlt, ist für mich keine reale Auseinandersetzung eines digitalen Großkonzerns mit einem der aktuellsten gesellschaftlichen Probleme. Wir werden es selbst machen müssen. Das ist unser Job 2017.
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