· 

Drei Dinge, die ich in nur einer Woche medial gelernt habe

Drei Dinge, die ich in nur einer Woche medial gelernt habe.
  1. Der Internationale Frauentag auf Social Media ist nicht schön.
  2. Heftige Ereignisse haben keinen Nachrichtenwert, wenn die Herkunft der Täter nicht ins Weltbild passt oder nicht bekannt ist.
  3. Der Kampf gegen Fake News kann nicht gewonnen werden, wenn die Allgemeinheit deren Herkunft nicht interessiert.
Zu 1)
Ich mag Fußball. Ich habe zwei Herzensvereine. Den einen schon lange, aufgrund seiner Geschichte. Es ist Werder Bremen. Werder hat zum Internationalen Frauentag auf Facebook ein Foto eines weiblichen Fans gepostet und allen Frauen einen schönen Tag gewünscht. Schöne Geste. Eigentlich einfach, dass sich da die männlichen Fans anschließen können. Aber weit gefehlt! Innerhalb von nicht mal zwei Stunden fanden sich unter dem Post mehr als ein Dutzend sexistische, machohafte Sprüche, teilweise auch handfeste Beleidigungen und verbale Herabsetzungen von weiblichen Werder-Fans im besonderen und Frauen im allgemeinen, nicht nur als Kommentar, auch als Meme. Und nicht nur das: Männer, die für die Frauen Partei ergriffen oder sogar wagten zu verdeutlichen, dass es doch eigentlich hier um Gleichberechtigung gehe, wurden ebenfalls niedergemacht und in einem Fall meiner Meinung nach mit justiziablen Kommentaren überzogen. Dagegen ist ein dummes "Geh heim sterben!" noch harmlos. Ich hab meinen Augen nicht getraut.
Ich habe dann selbst ein paar Kommentare geschrieben und versucht, zurechtzurücken. Die wurden teilweise auch gelikt, aber unterstützt hat mich keiner. Und die fiesen Memes und Kommentare blieben einfach stehen. In einem zweiten Schritt hab ich also dem Social-Media-Team von Werder geschrieben, ob sie hier nicht mal ihrer Pflicht nachkommen und löschen oder zumindest eingreifen möchten. Man muss dazu wissen: Werder Bremen hat 2013 einen Preis für seine Social-Media-Kommunikation auf Twitter bekommen. Auf Facebook kann ich aber nichts Preiswürdiges feststellen. Eigentlich gibt es nie irgendwelche Moderation.
Einen halben Tag lang passierte nichts. Dann bekam ich Antwort auf meine Nachricht. Aber nicht von Werder. Sondern von einem weiteren aggressiven Masku. Ich entgegnete, klar, dass da auch wieder ein Mann drauf reagieren müsse. Sinnvolle Diskussion zwecklos, er wollte nur provozieren, denn er schrieb daraufhin: "Du bist sicher Veganerin". 
Nächster Schritt: Ich schrieb eine Mail an Werder, denn über die Facebook-Seite wollte offensichtlich keiner reagieren. Immerhin ging es hier schnell, und der Social-Media-Beauftragte schrieb kurz später, man sei die Beiträge durchegangen und habe das Schlimmste entfernt. Immerhin, auch die Beleidigungen gegen mich waren weg. Dennoch scheint das sehr subjektiv zu sein, denn fiese Memes waren stehen geblieben und die Angriffe von Maskus gegen andere Männer auch. Kommentierung und Moderation von Seiten des Vereins: Fehlanzeige. 
Auch in anderen Bereichen des Internets sah es am vergangenen Mittwoch nicht besser aus. Wo immer Frauen ein schöner Tag gewünscht oder darauf aufmerksam gemacht wurde, dass Gleichberechtigung immer noch nicht erreicht ist, hagelte es fiese Kommentare und Beleidigungen. Ohne Eingreifen. Freundinnen berichteten mir aus ihren Timelines und Filterblasen ähnliches. Twitter ging gar nicht, wenn frau sich politisch äußern wollte. So ein Frauentag - echt kein Spaß in Social Media. Im Jahr 2017!
Zu 2)
Im Verbreitungsgebiet des Nachrichtenportals, für das ich hauptsächlich aktuell arbeite, kam am Montag die Polizeimeldung auf, dass in der Nachbar-Stadt am Freitag eine Frau am hellichten Nachmittag einem sexuellen Übergriff entgangen ist, weil sie geistesgegenwärtig den beiden mutmaßlichen Tätern ihren Kaffee ins Gesicht schüttete. Zuvor war sie aber schon massiv bedrängt worden, man hatte ihr die Kleider aufgerissen. Weil es sich bei der Nachbar-Stadt um eine verhältnismäßig ruhige Stadt handelt, hat mich zumindest der Vorfall ziemlich geschockt. Die Täter-Beschreibung der Frau ließ keine Rückschlüsse auf die Herkunft bzw. die Nationalität der Täter zu - was ja eh heikel ist, denn auch wenn jemand dunkelhäutig ist, kann er ja dennoch Deutscher sein. In so einem Fall ist das ja auch völlig egal - Hauptsache, man kriegt die Täter.
Anders reagierte unsere digitale Leserschaft. Der erste Kommentar auf Facebook dazu: "Nationalität? Herkunft? Hautfarbe? Haarfarbe?". Und darunter schrieb jemand: "Na, die Personenbeschreibungen sind ja sehr dürftig? Verschweigt das Opfer, verschweigt die Polizei da was!?". Empathie für die Frau? Fehlanzeige. Der Artikel war dann auch nach wenigen Stunden wieder raus aus der Meistgeklickt-Liste. Denn die heimlichen Erwartungen, dass das wieder ein Flüchtling bzw. zwei eine deutsche Frau angegriffen haben, wurde nicht erfüllt. Übrigens hatten sich ohnehin nur Männer auf Facebook geäußert. Was ist los mit meinen Mitmenschen? Hauptsache, das riesige Bierfest, das in dieser Stadt jährlich im Spätsommer stattfindet, bleibt unberührt. Übrigens kommt es da regelmäßig zu sexuellen Übergriffen und Schlägereien und Sachbeschädigungen. Von "echten" Deutschen.
Zu 3)

Ausgerechnet an dem Tag, an dem Heiko Maas seinen neuen Gesetzentwurf gegen Fake News und Hasskommentare vorlegt (Dienstag), postet einer nebenan auf Facebook in der Darmstadt-Gruppe (in der ich immer noch bin) lokale Fake News - von einer Seite, die schon seit mindestens drei Jahren ein Geschäft damit macht, dass hier jeder einfach eine erfundene Geschichte posten kann. Man wird sogar zum Foto-Missbrauch aufgefordert, denn man kann direkt Bilder aus der Google-Suche zu seinem "Witz" - so nennen die "Seiten-Macher" die generierten Fake News - hochladen. Hier gibt es auch ganz schnell Dutzende Kommentare und Reaktionen von anderen Darmstädtern. Aber keiner zieht es in Zweifel. Inhaltlich sagte der "Artikel" aus, das Erdogan zum Wahlkampf-Machen nach Darmstadt kommt, genauer: ins Böllenfalltor-Stadion.

Ein bisschen Recherche, und schnell ist klar: Hinter der Seite, die es bereits in fünf Ländern gibt, steht ein Franzose, Firmensitz ist aktuell auf Teneriffa eingetragen. 2014 geriet der Typ schon mal in die Schlagzeilen, weil er mit seinen Fake News über Ebola und das Ebola-Virus ernsthaft Nachrichten-Schaden anrichtete und Leute auf falsche medizinische Fährten lockte. Ziemlich krasser Fall - genau so einer, wie ihn der Justizminister verhindern will.
ABER: Es interessierte die Leute einfach nicht. Zwar erkannten viele, dass die Meldung nicht wahr ist. Dass das aber eine gefährliche Seite dahinter ist, dass so was justiziabel ist und man den Scheiß deswegen nicht teilen sollte: kam nicht an bzw. war ihnen egal. Massenhafte Reaktion: "Wieso, ist doch Satire!? Jetzt seid mal nicht so!"
Immerhin löschte der Gruppen-Admin den Post, zu dem sich der Urheber in der Gruppe übriges null äußerte, 13 Stunden später. Trotzdem erschreckend. Kommt nach fehlender Medienkompetenz und Medien-Verrohung jetzt schon Medien-Ignoranz? Düstere Zeiten für Journalismus, also noch düsterer, wenn den Leuten egal ist, wo die Nachrichten herkommen und wie sie entstehen.

 

Strom kommt aus der Steckdose, Nachrichten kommen über Facebook.

Kommentar schreiben

Kommentare: 0