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Das Leid mit der Leitkultur

Da hat Innenminister Thomas de Maizière (CDU) ja was angerichtet mit seinem Gastbeitag in der "Bild am Sonntag". Deutschsein neu definiert. Zu Recht gab's dafür Kritik von allen Seiten. Jedoch: Eine Menge fromme Wünsche, "Könnte-Optionen", wenn man es richtig liest. Und die CDU führt diese Leitkultur-Debatte bereits seit fast 20 Jahren; seit 2007 ist eine "Leitkultur" im Grundsatzprogramm der Partei verankert. Wenn jetzt nur der Teil auffällt, der sich auf Migration bezieht, dann ist auch in der Rezeption was faul.

 

Die Debatte kommt in regelmäßigen Abständen bzw. wird von der CDU in regelmäßigen Abständen wieder mal ausgegraben, und auch die CSU müht sich seit mindestens 2010 mit dem Begriff ab.

Der Begriff ist seit 2000 im Repertoire der politischen Diskussion, direkt im Zusammenhang mit Flüchtlingen und als Gegen-Wort zu Multikulturalismus, aber er ist weit älter und meint eigentlich etwas ganz anderes. Eine interessante Frage, die also auch nicht in der Debatte gestellt wird, ist, wann der Begriff eigentlich durch die Politik vereinnahmt und entfremdet bzw. einseitig besetzt wurde.

 

Ursprünglich stammt der Begriff aus der Landwirtschaft und meint das (dominante) Vorherrschen einer bestimmten Pflanzenart, die damit einen Kulturraum prägt, so wie die Olivenbäume in der Toskana oder eine bestimmte Weinrebsorte in einem Landstrich. Für die (kultur-)politische Diskussion wurde der Begriff der Leitkultur von Bassam Tibi implementiert, mit seinem Beitrag "Multikultureller Werte-Relativismus und Werte-Verlust" 1996 in der Beilage zur Wochenzeitung "Das Parlament". Darin heißt es unter anderem: "Die Werte für die erwünschte Leitkultur müssen der kulturellen Moderne entspringen, und sie heißen: Demokratie, Laizismus, Aufklärung, Menschenrechte und Zivilgesellschaft." Es ging also nicht um eine Abgrenzung der Deutschen als Kulturnation, sondern um die Frage, wie man allen Mitgliedern einer multikulturellen Gesellschaft eine Identität geben kann (und nicht nur einen Pass, weil ein deutscher Pass laut Tibi nicht automatisch eine exklusive (neue) Ethnizität bietet).

 

Ab 1998 lief die Debatte schief

 

Das erste Mal lief die Debatte dann etwas schief, als 1998 der damalige "Zeit"-Herausgeber Theo Sommer den Begriff "deutsche Leitkultur" nutzte, jedoch im Sinne, dass Zuwanderer in der Pflicht seien, "Assimilation an die deutsche Leitkultur und deren Kernwerte" zu betreiben. Dies wiederum wurde vom damaligen CDU-Fraktionsvorsitzenden im Bundestag Friedrich Merz zwei Jahre später aufgegriffen; es war der erste CDU-Vorstoß zu dem Thema. Übrigens auch schon mit Hilfe des Springer-Imperiums, denn es waren damals Thesen in der "Welt". Geschichte wiederholt sich. Auch ging es explizit nur um Integration contra Multikulturalismus und um Regeln für Einwanderung.

 

Danach gab's dann noch den Karikaturenstreit, Norbert Lammert und Paul Nolte. Und in der ganzen Debatte bis 2007 nur eine Ethnologin und einen Philosophen, die nennenswert, also breiter wahrgenommen, dazu Stellung bezogen bzw. gefragt wurden, Stellung zu beziehen. Und den Begriff der "europäischen Leitkultur" nach Jürgen Habermas, den lass ich jetzt aber mal außen vor, den müsste man eher in Bezug zur USA mal wieder untersuchen.

 

Bekenntnis zur "deutschen Leitkultur" seit 2007

 

Bei den Konservativen blieb das Thema also. Die CDU hat ein Bekenntnis zur "deutschen Leitkultur" bereits seit Dezember 2007 in ihrem Grundsatzprogramm. Das griff der damalige CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla auf. Laut CSU-Zeitung "Bayernkurier" definierte 2010 der damalige Generalsekretär der CSU, Alexander Dobrindt, die deutsche Leitkultur als "das Christentum mit seinen jüdischen Wurzeln, geprägt von Antike, Humanismus und Aufklärung", so hat auch die CSU schon eine Definition im eigenen Programm verankert, auch seit 2007.

 

Wo bleibt die Kultur in "Leitkultur"?

 

Mitten in der Diskussion um den Begriff "Leitkultur" 2010 veröffentlichte der Journalist und Kulturwissenschaftler Mark Terkessidis sein Buch "Interkultur" bei Suhrkamp, in dem er nahelegt, warum es nicht gut ist, dass Menschen nur auf ihre Herkunft und damit ihre Kultur reduziert werden, eben weil sich Kulturen vermischen und damit auch die deutsche Kultur verändert wird, andererseits aber auch nicht mehr davon ausgegangen werden kann, dass Multikulturalität "als unverbindlich-tolerantes Nebeneinander" verstanden wird. Terkessidis sagte schon damals, Integration habe in Deutschland nicht wirklich stattgefunden, wenn es um tatsächliche Teilhabe von Menschen in allen Bereichen des Lebens ginge und plädierte für radikal neue Begriffe und Bewertungen. Und er machte darauf aufmerksam, dass sich Deutschland ja erst seit 1998 (auch) als Einwanderungsland definiere.

 

Auch großes Thema der CSU

 

Zuletzt war die Leitkultur eines der ganz großen Themen der Schwester-Partei CSU. Ende August letzten Jahrens haben CSU und die sächsische CDU im Deutschen Bundestag in Berlin einen gemeinsam formulierten "Aufruf zu einer Leit- und Rahmenkultur" vorgestellt. Da hielt sich die Bundes-CDU noch fein raus. Der CSU ist eine Leitkultur vor allem mit Blick auf die Integration von Zuwanderern wichtig; die Partei möchte eine Leitkultur auch am liebsten in der bayerischen Verfassung verankern. "Wir sind dagegen, dass sich unser weltoffenes Land durch Zuwanderung oder Flüchtlingsströme verändert. Nicht wir haben uns nach den Zuwanderern zu richten, sondern umgekehrt", heißt es in einem entsprechenden Positionspapier der Partei vom Sommer 2016. Eine Enquete-Kommission ebenfalls im Sommer zum geplanten bayerischen Integrationsgesetz war zu keinem Ergebnis gekommen.

 

Widerstand(-skultur)

 

Verbände und auch die Kirchen in Bayern waren übrigens dagegen. Es sei diskussionsbedürftig, "ob es Recht und Aufgabe des freiheitlich-demokratischen Rechtsstaats sein kann und darf, eine Leitkultur gegenüber anderen kulturellen Ausprägungen zu präferieren oder gar vorzugeben", schrieb der Landeskirchenrat im Juli. Und das dürfte nun auch bei der CDU und ihrem erneuten Vorstoß, die Debatte zu verschärfen, eine Rolle spielen.

Schon bei der CSU ging es auch um das Bekenntnis zur deutschen Sprache, die Akzeptanz von Traditionen und eine Definition von Toleranz - ohne dass die Partei aber bis jetzt definiert hat, was denn diese "gemeinsamen Grundwerte" sind, die dem allem zugrunde liegen sollen, ein weiteres Problem.

 

Historie des Begriffs wird nicht berücksichtigt

 

All diese Infos gingen am Wochenende aber unter. Kaum ein Medien hat aufgearbeitet, was es bisher mit dem Leitkultur-Begriff bei den konservativen Parteien auf sich hatte und hat.

Und viele haben de Maizière nicht richtig gelesen und sich aufgeregt. Vor allem über den Teil, der Migration und Integration betrifft. Natürlich kann man die Thesen kritisieren. Und man kann diskutieren, ob das der richtige Ausdruck ist für das gesellschaftliche Unbehagen, dass ja schon viele empfinden - und weswegen auch de Aufschrei wohl auf Migration und Flüchtlinge verengt ist. Aber man sollte sich eben schon mal die Mühe machen, zu vergleichen und einzuordnen. Was ist wirklich neu? Und was ist überhaupt im Sinne einer Regierungspartei machbar? Man würde unter anderem auch zu dem Schluss kommen, dass der Innenminister beispielsweise nicht gegen das Grundgesetz argumentiert, sondern mit ihm. Was auch sinnvoll ist, denn in diesem Sinne ist die Leitkultur-Idee eben auch schon seit 2007 im Grundsatzprogramm der CDU verankert. Vieles ist nicht neu, sondern nur anders bzw. verkürzt ausgedrückt.

 

Und warum fragt eigentlich niemand mal eine_n Kulturwissenschaftler_in dazu, auch jetzt nicht? Was ist denn mit dem Heimat-Begriff und seinen gesellschaftlichen Bedeutungen?

 

 

 

 

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