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Der Kampf ist noch lange nicht vorbei

Juhu – wir haben die Ehe für alle! Seit Oktober 2017 dürfen lesbische und schwule Paare in Deutschland endlich heiraten. Mehr als 25 Jahre lang wurde für diese Gleichstellung gekämpft. Auch ansonsten gab es langsam aber sich Fortschritte bei der rechtlichen Anerkennung und gesellschaftlichen Akzeptanz von lesbischen, schwulen, bisexuellen, trans- und intergeschlechtlichen Menschen. Das ist toll.

 

 

Aber: Oh je – wir haben die Ehe für alle! So schnell das Gesetz im letzten Jahr Bundestag und Bundesrat dann passierte, so schnell gestrickt ist es auch. Denn rechtlich hat sich für Regenbogenfamilien, also Lesben und Schwule mit Kindern, nichts verändert. Eine Co-Mutter in einer lesbischen Ehe, in die ein Kind hineingeboren wird, wird immer noch bis auf weiteres mit dem Jugendamt um die Anerkennung ihrer Elternschaft kämpfen müssen. Mehrelternschaft von drei oder vier Erziehungsberechtigten ist nach wie vor nicht möglich. Das ist vor allem für das Kindeswohl schlecht, wenn hier das Familien- und Abstammungsrecht nicht den Realitäten angepasst wird.

 

 

Bei Menschen, die sich nicht dem männlichen oder weiblichen Geschlecht zuordnen, hat das Urteil des Bundesverfassungsgerichts im November letzten Jahres Hoffnung geweckt, mit dem der Eintrag eines dritten Geschlechts bei Behörden in der Zukunft möglich sein soll – oder der Eintrag einfach weggelassen wird. Es ist jetzt die einmalige Chance für Deutschland, rechtliche Regelungen für einen erweiterten Personenstand zu erlassen. Vorstöße und Empfehlungen dazu gibt es genügend, auch Gutachten und Studien gibt es viele.

 

Dennoch wird nach unseren Informationen derzeit im Bundesinnenministerium an einem Gesetzentwurf gearbeitet, der weit hinter den Möglichkeiten und der Empfehlung des Bundesrats zurückbleibt. So steht momentan im Raum, dass Menschen des dritten Geschlechts sich erst untersuchen und medizinisch begutachten lassen müssen, bevor sie ihren gewünschten Personenstand eingetragen bekommen. Anstatt einen selbstbestimmten Umgang mit dem Wissen über die eigene Geschlechtszugehörigkeit zu ermöglichen, würde man wieder in alte Verfahrensweisen zurückfallen und damit Menschen, die sich als genderqueer definieren, weiterhin massiv diskriminieren und zurücksetzen.

 

 

Gleichzeitig ist die sogenannte Hasskriminalität gegen Lesben, Schwule, Bisexuelle und trans- und intersexuelle Menschen weiterhin hoch, in Europa und auch hier bei uns in Deutschland. Mindestens 300 Straftaten wurden im vergangenen Jahr vom Bundesinnenministerium registriert. 161 Tatverdächtige konnten ermittelt werden. Die Taten richteten sich gegen die sexuelle oder die geschlechtliche Identität der Opfer. Wir müssen aber davon ausgehen, dass die Dunkelziffer noch viel höher liegt, es noch viel mehr Gewalt und Diskriminierung gibt. Denn viele Opfer trauen sich nicht, zur Polizei zu gehen oder fürchten weitere Stigmatisierung. Vieles davon findet auch in den unendlichen Hasswelten des Internets statt. Menschen werden angegriffen und erfahren Bedrohungen und Einschränkungen in ihrem Leben, in ihrem Alltag, bloß weil sie anders lieben und leben.

 

 

Die liberale Demokratie steht nicht nur in Deutschland, sondern weltweit weiterhin unter Druck. Homophobe und transfeindliche Stimmen sind in jüngster Zeit wieder deutlich lauter geworden. Das gerade hier in Stuttgart sehr aktive und der AfD nahe stehende Bündnis „Demo für alle“ bekämpft weiterhin die Gleichstellung und Akzeptanz von Schwulen, Lesben, Bisexuellen, trans*- und intersexuellen Menschen. Gehör und Verstärkung findet es bei religiösen Fundamentalisten und Rechtspopulisten. Und das Bündnis ist gut vernetzt – bis in die bürgerliche Gesellschaft hinein.

 

Es ist nicht hinnehmbar, wenn Politik und Gesellschaft sich nun auf den Errungenschaften ausruhen. "Ihr dürft heiraten, was wollt ihr denn noch!" - Das langt eben nicht. Das Land Baden-Württemberg und auch die Bundesrepublik Deutschland haben sich verpflichtet, der Diskriminierung von Schwulen, Lesben, Bisexuellen, trans*- und intersexuellen Menschen entschieden entgegenzutreten. Und deswegen ist es auch schwierig, wenn jemand wie die CDU-Abgeordnete Sabine Kurtz hier in Stuttgart zur Landtagsvizepräsidentin gewählt wird. Denn sie steht der "Demo für alle" nahe und hat in der Vergangenheit den neuen Bildungsplan der Landesregierung, der Aufklärung über sexuelle Vielfalt in allen Fächern verankert hat, torpediert. Eine "Ich hab nichts gegen die, aber"-Mentalität ist keine Akzeptanz, so eine Haltung zeugt noch nicht mal von Toleranz!

 

 

Immer noch gibt zu viele, die Homosexualität, Transsexualität und Intersexualität für Krankheiten halten. In Sachsen-Anhalt wird aktuell um sogenannte "Homo-Heiler" diskutiert, als wären wir noch im Mittelalter. Es gibt nicht nur dort fundamental-christliche Vereine, die meinen, in Seminaren Lesben und Schwule umerziehen zu können. Weil sie nur als heterosexueller Mensch ein wertvolles Mitglied dieser Gesellschaft sein könnten. In mehr als 30 Ländern steht Homosexualität nach wie vor unter Strafe, in vier und in Teilen weiterer sogar unter Todesstrafe.

 

 

In der Türkei wird seit 2015 der Gay Pride in Istanbul gewaltsam niedergeschlagen. Dennoch planen auch in diesem Jahr, Aktivist_innen wieder auf die Straße zu gehen. Stärker als ihre Angst vor Repressionen ist ihre Wut über vom Staat nicht verfolgte gewaltsame Übergriffe und Unterdrückung jedweder Art. In den vergangenen acht Jahren sind in der Türkei über 40 Menschen allein aufgrund ihrer geschlechtlichen Identität (trans*) ermordet worden.

 

 

Wir brauchen den Internationalen Tag gegen Homo- und Transphobie immer noch. Wir müssen trotz aller erreichten Ziele immer noch auf die Straße gehen und sichtbar sein. Um Werte wie Freiheit, Gleichheit und Respekt muss täglich neu gerungen werden. Und sie dürfen nicht von der politischen Agenda verschwinden.

 

 

 

Die Rede hielt ich als LSVD-Vorständin bei der gemeinsamen Kundgebung des LSVD Baden-Württemberg zusammen mit der IG CSD Stuttgart e.V. am 17. Mai 2018 in Stuttgart.

 

Der LSVD Baden-Württemberg unterstützt zusammen mit dem CSD-Verein Stuttgart eine Solidaritätsaktion für den Istanbul Pride. Wer ebenfalls seine Solidarität zeigen möchte: Für den Istanbul Pride kann gespendet werden, online unter www.betterplace.org/p62106 oder mit dem Stichwort "Pride Istanbul" auf das Konto des Weissenburg e.V., IBAN: DE71 6005 0101 0002 4552 06. Die Spendenaktion läuft bis 31.07.2018.